Tiefenpsychologisch-psychoanalytische Dachgesellschaft
Informationen zur aktuellen Situation
Herbst 2017
Die TPD als Zusammenschluss jener fachspezifischen Psychotherapie-Vereine, die tiefenpsychologisch-psychoanalytische Behandlungsmethoden vertreten und darin ausbilden, hat im laufenden Jahr 2017 neuerlich abstimmende Gespräche mit der WGKK geführt. Ziel des Austausches war es, aus der weitgehenden Blockade der Kassenfinanzierung v.a. in Bezug auf hochfrequente psychoanalytische Behandlungen, die die WGKK seit 2012 betreibt, wieder heraus zu finden. Zwischen 2004 und 2012 hatte es in Wien eine Regelung zwischen Psychoanalytikern und WGKK gegeben, die gut funktionierte und fürganz Österreich und darüber hinaus vorbildlich war. Dann kam es zu einem einseitigen Frontalangriff der WGKK auf die hochfrequenten Behandlungen, zu einer Beendigung der alten Regelungen, zu einer Streichung des »Psychoanalysekontingents« der TPD und zu einer Zeit der relativen Gesprächslosigkeit. Die TPD versuchte seit Ende 2016, einen Neuanfang fürkonstruktive Gespräche zu finden.
In einer gemeinsamen Sitzung im Jänner 2017, an der Vertreter der TPD1 und der WGKK2 teilnahmen, wurde vereinbart, dass die TPD eine Liste von Indikationskriterien vorlegen sollte, nach denen eine Kassenbewilligung von hochfrequenten Behandlungen erfolgen könnte. Wir legten einen wohlüberlegten und keineswegs die ASVG-Verpflichtung »auf das Maß des Notwendigen« überschreitenden Vorschlag vor. Die WGKK wollte sich diesem jedoch nicht zur Gänze anschließen, sondern präsentierte ihrerseits eine taxative Liste (siehe unten), die als nicht weiter verhandelbar erklärt wurde.
Unserem Anliegen nach einem weiteren persönlichen Gesprächstermin zwischen Vertretern der TPD und der WGKK um hier noch Verbesserungen zu erreichen und weitere Fragen zu klären, wurde nicht entsprochen. Schriftlich wurden allerdings noch einige weitere Spezifikationen mitgeteilt. Bevor wir hier die Resultate wiedergeben, möchten wir jedoch einige rechtliche Grundlagen der Kassenfinanzierung von Psychotherapie in Österreich in Erinnerung rufen, zumal diese zum Verständnis des Ergebnisses notwendig erscheinen.
1
Von Seiten der TPD nahmen Fritz Lackinger (Vorsitzender) und Renate Kohlheimer (Stellvertreterin) teil, das Wiener Psychoanalytische Ambulatorium wurde von Hemma Rössler-Schülein vertreten.
2
Die WGKK wurde von der ärztlichen Direktorin des medizinischen Dienstes, Barbara Hörnlein, ihrem Mitarbeiter, Stefan Menghin, der Leiterin der Abteilung Vertragspartnerverrechnung und Verhandlung, Andrea Fleischmann, sowie von deren Mitarbeiterin, Patricia Dundler. repräsentiert.
Rechtliche Grundlagen
In Österreich hat seit der 50. ASVG-Novelle 1992 jeder Versicherte einer sozialen Krankenkasse einen Rechtsanspruch auf psychotherapeutische Krankenbehandlung für die Dauer der Krankheit. Dieser Rechtsanspruch wird im §133 Abs. 2 in dem Sinne qualifiziert, dass die jeweils finanzierte Behandlung ausreichend und zweckmäßig sein müsse sowie das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfe3. Wir nennen das die »Trias zweckmäßig, ausreichend, notwendig«.
Bei chefärztlich antragspflichtigen Krankenbehandlungen ist die Krankenkasse gesetzlich verpflichtet, zu überprüfen, ob diese dem ASVG (Zweckmäßigkeit4 inkl. Ökonomiegebot) entspricht. Hierfürkönnen von der Krankenkasse fachlich qualifizierte Indikationsstellungen und Befunde eingefordert werden, der Patient muss zu Untersuchungen zu erscheinen u. ä.
Aufgrund der dabei gewonnenen Informationen muss die Kasse den Antrag auf Kostenzuschuss bzw. -übernahme bewilligen oder ablehnen5. Üblicherweise erfolgt die Prüfung der Voraussetzungen durch Bearbeitung der schriftlichen Anträge/Indikationsstellungen. Der Prüfungsvorgang darf nicht als behandlungshindernde Zugangsschwelle den Zweck der Behandlung gefährden6. Weder der Gutachter noch die Krankenkasse dürfen in die ASVG-garantierte Behandlungsautonomie von Psychotherapeuten eingreifen, Indikationsstellungen können nur von fachlich behandlungs-beauftragten und therapeutisch verantwortlichen BehandlerInnen getroffen werden!
Die Administration der Kassenfinanzierung von Psychotherapien als Sachleistung (also die sogenannte Kostenübernahme) ist bekanntlich auf sogenannte »Versorgungsvereine« ausgelagert worden (in Wien: WGPV und VAP), die von der WGKK als »Kooperationspartner«
3
ASVG § 133 Abs.2: „… Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, fürdie lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden …«
ASVG § 134 Abs.1: „Die Krankenbehandlung wird während der Versicherung fürdie Dauer der Krankheit ohne zeitliche Begrenzung gewährt …«
4
Peter Scholz (HVSVTr), Psychotherapeutische Krankenbehandlung, Soz.Si. 10/99, zu § 133 Abs. 2 »zweckmäßig«: »Nur durch diese Therapie – nicht durch andere gleichwirksame kostengünstigere Behandlungs-Maßnahmen – kann das Behandlungsziel erreicht werden.«
* OLG Wien f. Arbeits-u. Sozialrecht 05/2007: »Krankenbehandlung ist zweckmäßig, wenn sie qualitativ geeignet ist, Gesundheit/Selbsthilfefähigkeit zu bessern… ist ausreichend, wenn qualitativ geeignete Maßnahmen intensiv genug angewendet werden, … Maß des Notwendigen…in der Methodenwahl (bei wirkungsgleichen die billigere), die die Versichertengemeinschaft am wenigsten belastet. Wesentliche Bedeutung kommt der vom Arzt im Einvernehmen mit demPatienten festgelegten Methode zu«.
5
Rechtswissenschaftler Walter Pfeil, 2010: (Rahmenbedingungen und Reichweite psychotherapeutischer Behandlungen in der gesetzlichen KV) „Prüfung der Voraussetzungen erfolgt im Einzelfall, …Begrenzungen nur, wenn nicht mehr behandlungsbedürftig oder Behandlung nicht mehr zweckmäßig, …Eingriffe nur ausnahmsweise, Beweislast und Mitteilungspflicht beim Krankenversicherungsträger.«
Siehe auch das ÖBVP-Positionspapier zur Kassen-Begutachtung (www.psychotherapie.at): „Der Krankenversicherungsträger ist verpflichtet, zu prüfen, ob die jeweils vorgeschlagene Behandlungsmethode der §-133-Abs. 2-Trias entspricht. Ihm obliegt die Entscheidungskompetenz über den jeweiligen mittels einer Indikation begründeten Antrag. Die Diagnose- und Indikationsstellung liegen im Bereich der Behandlungsautonomie«.
6
ASVG § 31 Abs. 5, Z.10: „Richtlinien … über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung … erst nach einer ärztlichen Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger… Durch diese Richtlinien darf der Zweck der Krankenbehandlung nicht gefährdet werden…« bezeichnet werden. Diese waren seit 2012 angewiesen, keine Kostenübernahme-Anträge für hochfrequente, psychoanalytische Behandlungen an die WGKK weiterzuleiten, während gleichzeitig das Psychoanalyse-Kontingent der TPD überhaupt abgeschafft wurde. Auch im Wiener Psychoanalytischen Ambulatorium wurden kaum noch hochfrequente Behandlungen im Sinne einer Kostenübernahme genehmigt.
In Einzelfällen gelang es einzelnen Psychoanalytikern, einen Kostenzuschuss für3- und 4-stündige Analysen genehmigt zu bekommen. Aber auch dies musste gegen den (oft unqualifizierten) Widerstand der meisten kassen-seitigen Gutachter erkämpft werden. Die Indikationenliste der WGKK (= der uns von Seiten der WGKK schriftlich vorliegende derzeitige Indikationsbereich zur Definition der hochfrequenten Psychoanalyse als Pflichtleistung der Krankenversicherung, Hervorhebungen von mir, L.F.)
- Der Patient / die Patientin muss mindestens 18 Jahre alt sein.
- Es müssen »ernsthafte bzw. erhebliche Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit, der Beziehungsgestaltung, der Selbstfürsorge« vorliegen.
- Es muss eine Persönlichkeitsstrukturveränderung als Zielsetzung gegeben sein.
- Wenn obige Kriterien gegeben sind, kann bei der Voraussetzung einer der Symptomatik zugrundeliegenden »strukturellen Störung« mit diagnostischer Einordnung in folgende Diagnosegruppen des ICD 10 eine Psychoanalyse als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung definiert werden:
F60.0 Paranoide Persönlichkeitsstörung
F60.1 Schizoide Persönlichkeitsstörung
F60.2 Dissoziale Persönlichkeitsstörung
F60.3 Emotional Instabile Persönlichkeitsstörung (auf Basis eines höheren Strukturniveaus)
F60.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung
F60.5 Anankastische Persönlichkeitsstörung
F60.6 Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung
F60.7 Asthenische Persönlichkeitsstörung
F60.80 (Sonstige Persönlichkeitsstörungen) ausschließlich mit dem Zusatz »Narzisstische Persönlichkeitsstörung«
F60.9 nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung ausschließlich mit dem Zusatz »comorbide Depression«
Zitat WGKK:
»Eine Bewilligung der WGKK füreine Behandlung mittels hochfrequenter Psychoanalyse ist – nach entsprechend erfolgter Begutachtung – AUSSCHLIESSLICH unter den genannten Konditionen möglich.«
Bedeutung dieser Indikationsliste
- Dies ist eine schriftlich vorliegende Deklaration der WGKK zur Pflichtleistung Psychoanalyse unter definierten Voraussetzungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.
- Über die Diagnose- und Therapieziel-Schiene wird von der WGKK eine Unterscheidung bzw. Abgrenzung zu anderen Psychotherapiemethoden getroffen. Das wird zur Einhaltung des ASVG, insbesondere der Trias „ausreichend, zweckmäßig und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend« offenbar als notwendig erachtet.
- Es werden klare, fürbeide Seiten bindende Kriterien vorgegeben.
- h.: In Abgrenzung zu den Frequenzbeschränkungen bei anderen niederfrequent und/oder mit anderen Therapiezielen arbeitenden Psychotherapiemethoden deklariert sich die WGKK schriftlich dazu, hochfrequente Psychoanalyse mit dem Therapieziel einer „strukturellen Veränderung« bei allen psychischen Erkrankungen, wenn diesen eine strukturelle Persönlichkeitsproblematik, die wie definiert diagnostiziert wird, zugrunde liegt und ernsthafte bzw. erhebliche Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit, der Beziehungsgestaltung, und/oder der Selbstfürsorge vorliegen, als Pflichtleistung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehen – und nach entsprechend erfolgter Begutachtung zu bewilligen.
Indikationsstellung und Antrag auf Kostenzuschuss
Auf der Basis dieser Indikationsliste können ab sofort Anträge auf Kostenzuschuss für hochfrequente Psychoanalysen bei der WGKK eingebracht werden. Die TPD empfiehlt, neben dem offiziellen Kassenformular auch das frühere Formular zur Indikationsstellung für hochfrequente/langfristige Psychotherapien zu verwenden. In diesem Formular sollte spezifisch argumentiert werden, dass die vorhandene strukturelle Persönlichkeitsstörung (diagnostiziert mittels ICD 10, F60: 0-9, und den Zusätzen wie von der WGKK vorgegeben) nur durch eine hochfrequente Behandlungsform gemildert bzw. überwunden werden kann.
Im WGKK-Antragsformular ist bekanntlich seit einiger Zeit u.a. der GAF Wert einzutragen. Da die »Arbeitsfähigkeit und/oder Beziehungsgestaltung und/oder Selbstfürsorge« für die Bewilligung ernsthaft/erheblich eingeschränkt sein muss, werden definitionsgemäß nur Anträge mit GAF-Werten von kleiner als max. 60, wahrscheinlich erst ab < 50 (ernste Symptome) aussichtsreich zu sein.
Es wird vermutlich weiterhin generell eine kassenseitige Begutachtung der Patient_innen vor Beginn der Behandlung und behandlungsbegleitend geben. Auch die Gutachter werden, nach heutigen Informationsstand, die gleichen wie in der letzten Zeit sein. Allerdings sind auch diese Gutachter an die WKGG-Indikationsliste gebunden. D.h. ihre Aufgabe sollte es in Zukunft im Wesentlichen sein, die Diagnosen zu überprüfen, d.h. das Vorliegen oder Fehlen einer der auf der Liste aufscheinenden Diagnosen festzustellen. Die Gutachter beurteilen also jetzt nicht mehr die Frage, ob bei gegebener Diagnose eine hochfrequente Behandlung indiziert ist.
Sachleistungsanträge
Es sei darauf hingewiesen, dass (lt. einer schriftlichen Mitteilung des medizinischen Dienstes der WGKK vom 4. Juli 2017) Anträge auf Kostenübernahme fürhochfrequente Psychoanalysen wieder bei den Versorgungsvereinen eingebracht werden können. Mit anderen Worten, es soll Psychoanalyse auch wieder als Sachleistungsvariante geben.
Zitat WGKK:
»Die neuerliche Etablierung von gesonderten Analyseplätzen ist füruns keine Option – zumal Anspruchsberechtigte, die eine Behandlung nach dieser Methode benötigen, diese bei entsprechend qualifizierten Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten unserer Vertragsvereine und im Wiener Psychoanalytischen Ambulatorium als Sachleistung in Anspruch nehmen können.«
Auch bei diesen Anträgen sollte das frühere Indikationsstellungsformular zusätzlich zum aktuellen Antragsformular verwendet werden. Es muss in den kommenden Monaten überprüft werden, ob diesen Worten auch Taten folgen.
Psychiatrische Stellungnahme Bei Anträgen fürhochfrequente Behandlung (gleichermaßen bei Kostenzuschuss und bei Kostenübernahme) ist es unserer Meinung nach zweckdienlich, wenn ein psychiatrisch qualifizierter Psychoanalytiker die Diagnose und die Behandlungsindikation bestätigt. Dies wäre im Sinne eines Privatgutachtens zu betrachten. Wir empfehlen, eine solche zusätzliche schriftliche Stellungnahme des/der facheinschlägigen Kollegen/Kollegin bereits bei der Antragstellung als Unterstützung beizulegen bzw. bei kassenseitigen Begutachtungsterminen vorzulegen (zusammen mit dem vom antragstellenden Psychotherapeuten ausgefüllten Indikationsformular)
Rechtliche Möglichkeiten bei Antragsablehnung
Bei Ablehnung von wohlüberlegten und begründeten Anträgen auf hochfrequente Behandlung ist eine rechtliche Bekämpfung der Ablehnung zu überlegen. Hierbei gibt es jedoch große Hürden. Insbesondere muss der Psychotherapeut eine grundsätzlich neutrale Haltung bewahren und darf den Patienten keinesfalls in Richtung einer rechtlichen Maßnahme beeinflussen.
Allerdings: Nur die PatientInnen selbst sind rechtlich in diesem Kontext Vertragspartner der Kasse und somit können nur sie Rechtsmittel einlegen – nicht die Behandler und nicht deren Berufsvertretungen! Grundsätzlich kann der Patientenombudsmann der Wiener Ärztekammer, Franz Bittner, im Falle von unberechtigten Ablehnungen aktiv werden und vom medizinischen Dienst weitere Informationen oder eine Beschlussrevision einfordern (www.patientenombudsmann-wien.at). Die Kooperation der WGKK beruht hier allerdings auf Freiwilligkeit.
Dasselbe gilt auch für die Ombudsstelle der WGKK (ombudsstelle@wgkk.at), die als »Anlaufstelle für Ihre Anregungen, Beschwerden und Ihr Lob« zur Verfügung steht. Wenn sich – nach erfolgloser Therapeuten-Rücksprache mit der Kasse und/oder ebenso erfolgloser Intervention des Patientenombudsmannes – ein Patient dem Kassenentscheid nicht fügen will, kann er einen klagsfähigen Kassenbescheid anfordern und – noch ohne Anwaltsverpflichtung – eine Klage beim Sozialgericht einreichen, um – dann mit Anwalt – das Verfahren gegen die Kasse zu führen. Die TPD wird sich bemühen, Patient_innen, die den Rechtsweg beschreiten wollen, mit Informationen zu unterstützen.
Informationssammlung Vorerst müssen wir aber die neue Regelung der WGKK ausprobieren. Als TPD möchten wir so viel wie möglich darüber erfahren, wie Anträge, die den neuen Indikationskriterien folgen, in der Praxis behandelt werden. Finden Begutachtungen statt und wie verhalten sich die Gutachter? Wird die vorgeschlagene Hochfrequenz genehmigt oder gibt es Versuche, die Frequenz zu reduzieren? Wir ersuchen alle Mitglieder und Kandidat_innen der Mitgliedsvereine der TPD uns rasch und umfassend Berichte über die kommenden Antragserfahrungen zukommen zu lassen.
Priv.-Doz. Dr. Fritz Lackinger
Im Namen der tiefenpsychologisch-psychoanalytischen Dachgesellschaft