Indikationskriterien für kassenunterstützte psychoanalytische Krankenbehandlung
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Indikation für niederfrequente psychoanalytische/psychodynamische Verfahren mit der Regelsitzungsfrequenz von 1 Sitzung/Woche
Bei Aktualkonflikten bzw. aktualisierten frühen Konflikten mit reaktiver und umschriebener Symptomatik. Die Methodik ist eine Ich-stützende konfliktzentrierte Psychotherapie unter Beachtung von Unbewusstem, Widerstand und Übertragung ohne vertieftes Durcharbeiten im Übertragungs-/Gegenübertragungsgeschehen.
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Indikation für mittelfrequente psychoanalytische/psychodynamische Verfahren mit der Regelsitzungsfrequenz von 2 Sitzungen/Woche in einem Behandlungsrahmen von mehreren Jahren
2.1
Wenn die vorliegende Aktual-Symptomatik so drängend und belastend ist, dass ein niederfrequentes Setting keine ausreichende Haltefunktion für die erforderliche Problembearbeitung bietet und/oder wenn zur nachhaltigen Veränderung der Aktual-Symptomatik die zugrundeliegende strukturelle Ebene erreicht werden muss.
2.2
Bei Patient_innen mit einer chronifizierten umschriebenen Problematik, insbe- sondere wenn im bisherigen Krankheitsverlauf niederfrequente Verfahren keine anhaltende Symptombesserung erbracht haben bzw. eine solche aufgrund der strukturellen Pathologie im Rahmen einer niederfrequenten Behandlung nicht zu erwarten ist.
2.3
Wenn nicht-kontrollierbares Agieren von Patient_innen mit emotional instabilen (ICD-10: F60.3) oder ähnlichen Persönlichkeitsstörungen vorliegt, dessen Reduktion das vorerst wichtigste Therapieziel darstellt; hier können auch spezielle psychoanalytische Behandlungstechniken zur störungsspezifischen Borderline-Behandlung wie z.B. Übertragungs-fokussierte Psychotherapie (TFP) indiziert sein.
2.4
Wenn Patient_innen aufgrund ihrer mit der Symptomatik einhergehenden Einschränkungen von Belastbarkeit oder aufgrund derzeitiger sozialer und organisatorischer Rahmenbedingungen nicht in der Lage sind, sich einer eigentlich indizierten hochfrequenten Behandlung zu unterziehen.
Im Anschluss an derartige mittelfrequente Symptomstabilisierungen oder nach Veränderungen der zuvor einschränkenden Rahmenbedingungen kann abhängig von der Ausprägung der strukturellen Einschränkung eine Umwandlung in eine hochfrequente Psychoanalyse indiziert sein.
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Indikation für hochfrequente Psychoanalyse
Sitzungsfrequenz: In der Regel 4 Sitzungen/Woche in einem Behandlungsrahmen von mehreren (in der Regel 4 bis 5) Jahren
Bei psychischen Störungen mit verfestigten und chronifizierten Abwehrstrukturen und dysfunktionalen Beziehungsmustern, die eine pathologische Konfliktlösung aufrechterhalten und damit einer Veränderung der jeweils vorliegenden Krankheitssymptomatik entgegenwirken.
Zu diesem speziellen Indikationsbereich, der aufgrund der Komplexität und Subjektivität intrapsychischer Bedingungen nicht allein in nosologischer Einteilung definierbar ist, zählen neben Persönlichkeitsstörungen im engeren Sinne psychische Störungen verschiedenartiger Symptomausprägung, in deren Krankheitsverlauf Chronifizierung, ausgeprägte soziale Beeinträchtigung und/oder Therapieresistenz gegenüber anderen Behandlungsmaßnahmen vorherrschen.(3)
Solche Störungen können zu erheblichen krankheitswertigen Einschränkungen der Fähigkeit führen, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, und haben gravierende negative Auswirkungen auf den gesamten Lebensverlauf. Zu ihrer anhaltenden Besserung bedarf es einer tiefgreifenden Veränderung der Persönlichkeitsorganisation, welche nur mittels intensiven Durcharbeitens der Problematik im Übertragungs-/Gegenübertragungsgeschehen in dichter Sitzungs- frequenz erreichbar ist.
Vorbedingung für die hochfrequente Psychoanalyse ist, dass im Einzelfall bestimmte Persönlichkeitsvoraussetzungen (wie Motivation, Introspektionsfähigkeit und Fähigkeit, die mit der hochfrequenten Behandlung einhergehenden Belastun- gen tolerieren zu können) vorhanden sind, die das Erreichen der Behandlungsziele wahrscheinlich machen.
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Abhängig von der jeweiligen individuellen Konstellation ist die Hochfrequenz indiziert:
- Wenn sich in der Symptomatik eine besondere Intensität der Regression zeigt, die im Behandlungsgeschehen erfasst werden muss, oder wenn eine besondere Tiefe der Regressionsneigung vorliegt, dh. die Psychopathologie auf besonders frühen innerseelischen Konflikten beruht.
- Wenn frühe Verlusterfahrungen eine entscheidende Rolle bei der Bildung psychischer Strukturen gespielt haben, deren Bearbeitung eine verstärkte Haltefunktion benötigt.
- Wenn Abwehrmechanismen wie Verleugnung, Affektisolierung oder Intellektualisierung jeden therapeutischen Zugang zur Konfliktbearbeitung insofern behindern, als die etablierte Abwehrkonstellation durch narzisstische Erfolge eine permanente Selbstverstärkung erfährt und die Pathologie ichsynton erlebt wird.
- Wenn pathogene Phantasien charakterlich fixiert sind, dh. die unbewussten Konflikte strukturell in (bisweilen relativ symptomarmen) Charakterneurosen gebunden sind.
- Wenn Tendenzen zu Spaltung und projektiven Mechanismen vorherrschen und pathogene Phantasien von Ungeschiedenheit und Omnipotenz die Qualität der Objektbeziehungen bestim- men.
- Wenn eine derart ausgeprägte Störung der narzisstischen Selbstwertregulation vorliegt, dass virulente Phantasien von der Zerstörung des Objekts (und die mit dem Verlust von Objekt und Au- ßenwelt einhergehende Angst vor Zerstörung des Selbst) nur in dichter Frequenz als phantasmatisches Geschehen erkannt und durchgearbeitet werden können.
- Bei ausgeprägten destruktiven Impulsen und destruktiver Einstellungsbereitschaft gegenüber neuen Erfahrungen, die sich in Form einer negativen therapeutischen Reaktion ausdrücken und die, wenn sie im Behandlungsgeschehen nicht in dichten Schritten erfasst werden, zu Manifestationen wie unbewussten Selbstverletzungen, wiederholten Therapieabbrüchen, doctor-shopping oder symptom-shifting führen können.
- Bei Störungen mit Einschränkung oder Verlust der Symbolisierungs- bzw. Mentalisierungsfähigkeit und der Selbst-Objektdifferenzierung, wenn konkretes Erfordernis besteht, dass der/die Psychotherapeut_in als reales Objekt ausreichend engmaschig zur Verfügung steht.
Zur Gewichtung der individuellen Konstellation von Symptomatik, strukturellen Faktoren und vorherrschenden Konflikten vgl. auch: Danckwardt, J., Gattig, E, (1996): Die Indikation zur hochfrequenten analytischen Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung.